Am Freitag, den 22.02.2013 hatten wir um 19:00 Uhr alle Personen, welche die Zeit 1945 bis 1954 in Penzberg oder unmittelbarer Umgebung verbracht haben, bei freiem Eintritt und ohne Anmeldung zu einem Erzählabend in den Saal des Rot-Kreuz-Hauses eingeladen.
Der Lokalchronist Luberger, der die Penzberger Geschichte sehr gut dokumentiert hat, lässt leider die Zeit der Flucht und Vertreibung 1945 - 1954 in seiner Penzberger Chronik aus. Um diese geschichtliche Lücke zu füllen, hat sich der Verein für Denkmalpflege und Penzberger Stadtgeschichte in Zusammenarbeit mit der Katholischen Stiftungsfachhochschule Benediktbeuern, Hr. Prof. Dr. Wippermann, zu dem Projekt entschlossen, die noch lebenden Flüchtlinge und Heimatvertriebenen zu interviewen und diese Interviews schriftlich zu dokumentieren. Es wurden 35 Zeitzeugen im Herbst 2012 durch Studenten befragt. Diese sogenannten Zeitzeugeninterviews werden derzeit durch die FH ausgewertet und anschließend dem Verein für Denkmalpflege und Penzberger Stadtgeschichte zur Verfügung gestellt. Interviewt wurden nur Personen, die in der besagten Zeit nach Penzberg oder in die unmittelbarste Umgebung kamen.
Bei diesem offenen Erzählabend, einem weiteren Baustein in dem Projekt zur Aufarbeitung der Zeit von 1945 bis 1954, hatten jetzt erstmals neben den Neuankömmlingen auch Personen, die zu jener Zeit bereits in Penzberg ansässig waren, die Gelegenheit ihre Sichtweise der damaligen Zeit darzulegen. Um auch mobliltätsbehinderten Personen (Gehbehinderungen, keine Fahrgelegenheit zur Stadtmitte) eine Teilnahme an diesem Abend zu ermöglichen, konnten wir anbieten, diese Interessenten von zu Hause abzuholen und nach dem Ende der Veranstaltung wieder nach Hause zu bringen. Davon haben zwei Teilnehmer Gebrauch gemacht.
Es kamen 41 Teilnehmer, davon 12 Flüchtlinge/Heimatvertriebene, ca. 10 Nachgeborene (also Personen, die diese Zeit nicht selbst erlebt hatten) und ca. 10 damals schon Einheimische. Die übrigen Personen hatten zwar diese Zeit auch miterlebt, kamen aber erst später nach Penzberg. Ebenfalls anwesend war die Presse sowie zwei Stadträte.
Damit das an diesem Abend Gesagte für die Zukunft nicht verloren gehen kann, wurde der gesamte Abend von einer externen Firma mit Hilfe eines mobilen Tonstudios komplett mitgeschnitten. Der Mitschnitt wird in der weiteren Projektbearbeitung ein wichtiger Baustein sein, da der Verein über "Penzberg 1945 - 1954" mittelfristig eine Broschüre erstellen will.
Der Vereinsvorsitzende Alexander Peren, der diesen Abend moderierte, hatte als Einstieg eine Powerpoint-Präsentation mit Fotos vorbereitet: Klassenfotos, Gruppenfotos bei Ausflügen, Einzel- und Gruppenaufnahmen aus den Lagern, Erinnerungsbilder an die alte Heimat ebenso wie das Bild des eigenen Hauses nach dessen Fertigstellung in den 1950er Jahren.
Dadurch angeregt kam schnell ein Gespräch auf. Wer ist auf den Klassenfotos zu sehen? Wo ist diese Aufnahme aufgenommen? etc.
Damit waren wir schon beim Hauptteil des Abends - dem Erzählen: Fragen wie: An was erinnern Sie sich besonders? Gab es in der Notsituation auch Dinge, die gut oder gar schön waren? Wie hat man sich "durchgeschlagen"? wurden gestellt und auch teilweise ausführlich und kontrovers beantwortet: Natürlich empfanden die damals Einheimischen die Situation anders als die damaligen Neuankömmlinge.
Gesprochen wurde über die Themenkomplexe: Flucht und Vertreibung - Das Leben im Lager und der Stadt - Einheimische und Fremde
Themen wie Schule, Hygiene, Geburt und Sterben inklus. medizinischer Versorgung, Vereine und Gruppen, (Über)Leben in Zeiten des Notstandes, kirchliches Leben, Brauchtum und Feste (Wie wurde Advent, Nikolaus, Weihnachten, Ostern gefeiert?). Das führte zu Fragen nach gefärbten Eiern, die in Gras gekocht grün und in Zwiebelschalen gekocht braun wurden, oder auch zu Orangen und Bananen und Schokoladen-Nikoläusen oder Lebkuchen. Was aß man überhaupt? (Pferdefleisch und -wurst stand durchaus auf dem Speiseplan). Angesprochen wurde auch die Liebe: Gab es ein "Anbandeln" von Neuankömmlingen und Einheimischen? Wie reagierte darauf die Umgebung? Die Verkehrs- und Straßensituation wurde angesprochen, ebenso die Einkaufsmöglichkeiten, anfangs mit Zuteilungsmarken und Hamstern. Die Währungsreform mit dem Kopfgeld und die im Vorfeld damit verbundenen Ängste und Hoffnungen wurden gleichfalls thematisiert.
Im Vorfeld wurde vom Verein gebeten, ihm alte Fotos oder sonstige Dokumente (z.B. Schulzeugnisse, Rechnung über den ersten Möbelkauf etc.) zum Digitalisieren zu überlassen. Einige Teilnehmer hatte an diesem Abend entsprechende Dokumente dabei, andere haben zugesagt bei sich suchen zu wollen.
Der Ablauf war ähnlich wie bei "Jetzt red i": Der Moderator ging mit dem Mikrofon zu dem Teilnehmer, der sich äußern wollte. Das ersparte allen das Aufstehen und den Gang zu einem fest installierten Mikrofon. Die Teilnehmer waren dankenswerterweise sehr gesprächsbereit, was den Abend zu einer interessanten und vielseitigen Veranstaltung werden ließ.
Für diese rege Mitwirkung möchten wir uns ganz ausdrücklich bei allen Teilnehmern recht herzlich bedanken.Ohne die Teilnehmer wäre dieser Abend nicht möglich gewesen. Da unglücklicherweise gleich mehrere andere Veranstaltungen an diesem Abend in Penzberg waren, waren viele Interessenten leider verhindert. Da der Abend so gut verlief, wurde an uns von verschiedenen Seiten der Wunsch herangetragen, diese Veranstaltung zu wiederholen. Ob es dazu kommen wird, können wir derzeit noch nicht sagen.
Es wurden viele Bereiche des täglichen Lebens angesprochen, aber lange nicht alle: Das Leben ohne Technik (Fernseher, Telefon, Auto oder gar Computer), Abfall und Reparatur (Müll und Wiederverwertung) und sicher noch vieles weitere mehr. Somit gäbe es noch genug Aspekte, die eine Wiederholung rechtfertigen würde.
Der Abend endete gegen 21.30 Uhr.
Zum Pressebericht (Gelbes Blatt vom 27.2.2013) bitte hier klicken
P.S.: Auch andere führen ähnliche Projekte wie wir durch: Um das Grenzdurchgangslager Friedland geht es hier.
Um die Flüchtlinge im Landkreis Münster (Westfalen) geht es hier
Noch ein Hinweis für alle, die sich mit dem Thema selbst beschäftigen wollen: Die Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn hat zu diesem Themenkomplex ein Heft herausgegeben: (Band 712): Kalte Heimat : Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945. Näheres können Sie nachlesen. Klicken Sie bitte hier.